Cannabinoide bei neuropathischen Schmerzen

Viele Patienten haben vehement für einen einfacheren Zugang zu Cannabis-Blüten zur Behandlung chronischer und neuropathischer Schmerzen gekämpft. Daraus kann der Eindruck entstehen, Cannabinoide seien ein Wundermittel. Und für einzelne Patienten könnte das stimmen.

Bei neuropathischen Schmerzen werden trizyklische Antidepressiva, Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, Pregabalin oder Gabapentin eingesetzt. In der Zweilinientherapie sind Lidocain-Pflaster, Capsaicin-Pflaster oder Tramadol eine Option. In der Drittlinie können noch starke Opioide und BotulinumtoxinA angewendet werden.

Studiendaten sind widersprüchlich

Cochrane-Review (chronische oder neuropathische Schmerzen): Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Cannabis-Arzneimittel bezüglich einer erheblichen oder moderaten Schmerzlinderung Placebo überlegen sind. Die Evidenz dafür wird als sehr niedrig bis moderat angegeben.

Metaanalyse von 28 Studien (neuropathische und andere chronische Schmerzen): Moderate Evidenz für eine Verbesserung der Schmerzen durch Cannabinoide gegenüber Placebo. Die besten Ergebnisse wurden in einer Studie mit gerauchten Cannabisblüten erreicht. Auch das Oromucosalspray Sativex® führte zu einer Besserung der Schmerzen. Es verbesserte jedoch nicht die Lebensqualität der Patienten.

Metaanalyse von 15 Studien (neuropathische Schmerzen): Keine klinisch bedeutsame Schmerzreduktion oder Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität.

Metaanalyse von 11 Übersichtsarbeiten und 3 Langzeitbeobachtungsstudien (Schmerzbehandlung und Palliativmedizin): Begrenzte Belege für einen Nutzen für ein THC/CBD-Oromukosalspray.

Metaanalyse von 5 Studien (neuropathische Schmerzen): Klinisch relevante Schmerzreduktion bei der Kurzzeitanwendung.

Es gibt nicht das eine Cannabinoid

Der Ansatz, die Wirksamkeit der Cannabinoide als Klasse nachzuweisen, ist wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt. Im Gegensatz zu Betablockern oder SGLT2-Inhibitoren handelt es sich dabei um Substanzen mit unterschiedlichsten Rezeptorprofilen. Einige der Wirkstoffe vermitteln ihre Wirkung zusätzlich auch über andere Rezeptoren als die des Endocannabinoid-Systems. Dazu kommt, dass unter den Begriff „Cannabinoide“ auch pflanzliche Arzneimittel zusammengefasst werden, die als Vielstoffgemische natürlich eine hohe Heterogenität aufweisen.

Der Einsatz ist ein Therapieversuch

Cannabinoide sind bei neuropathischen Schmerzen immer ein Mittel der letzten Wahl. Trotzdem können sie wirksam sein. Allerdings muss ihr Einsatz durch einen Therapeuten erfolgen, der Erfahrung mit dem jeweiligen Mittel hat. Die Therapie muss dabei in ein Gesamtkonzept eingebettet und auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten ausgerichtet sein. Bei der aktuellen Datenlage ist dies aus meiner Sicht von größerer Bedeutung, als scheinbare Vorteile einzelner Präparate aus Studien abzuleiten.

Eine Evaluierung der Wirksamkeit sollte nach 4 bis 8 Wochen erfolgen. Bei unzureichender Wirksamkeit kann ein Wechsel der Cannabis-Zubereitung in Betracht gezogen werden. Sollte eine Patienten-individuelle Nutzen-Risiko-Bewertung jedoch negativ ausfallen, ist ein Therapieabbruch angezeigt.

Quelle

Wurglics M, Ude C. Cannabis und Cannabinoide als Arzneimittel. Erscheint in der Aprilausgabe der Arzneimitteltherapie.

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