Moderat oder hoch effektive Therapien bei pädiatrischer multipler Sklerose?

Für die Behandlung der pädiatrischen multiplen Sklerose sind im Vergleich zur adulten Form nur wenige Arzneimittel zugelassen. In einer aktuellen französischen Studie wurde untersucht, ob eine moderat effektive Therapie oder der direkte Einsatz einer hoch effektiven Therapie bei jungen Patienten sinnvoller ist.

MS-Therapie in der Pädiatrie

In etwa 3 bis 5% aller Fälle tritt die multiple Sklerose (MS) vor dem 17. Lebensjahr auf (pädiatrische MS). Auch wenn es sich um die gleiche Erkrankung wie bei Erwachsenen handelt, können altersbedingte Besonderheiten auftreten. Dennoch sind die Therapieempfehlungen größtenteils an die Leitlinie der adulten MS angelehnt, da für die pädiatrische MS nur wenige kontrollierte prospektive klinische Studien vorliegen. Eine gängige Strategie zur Behandlung der pädiatrischen MS besteht im Einsatz moderat effektiver Basistherapien (MET; siehe auch Immuntherapeutika-Kategorie 1 der aktuellen S1-Leitlinie) und ggf. Eskalation mit hoch effektiven Therapien (HET; siehe auch Immuntherapeutika-Kategorie 2 und 3 der aktuellen S1-Leitlinie) bei Nichtansprechen.

Höhere Wirksamkeit und geringere Abbruchraten unter HET

Die retrospektive Kohortenstudie wurde zwischen Januar 2010 und Dezember 2022 mit einem medianen Follow-up von 5,8 Jahren durchgeführt. Dabei wurden klinische und bildgebende Patientendaten von 36 französischen MS-Zentren gesammelt. Insgesamt wurden 530 Kinder und Jugendliche mit einem medianen Alter von 16 Jahren in die Studie eingeschlossen. Alle Teilnehmer hatten die Diagnose schubförmige remittierende MS und begannen vor ihrem 18. Lebensjahr die erste MS-Behandlung. 69% der Studienteilnehmer waren weiblich. Bei 422 der Patienten (80%) wurde eine MET initiiert, 108 Patienten (20%) erhielten eine HET. Die überwiegend eingesetzten MET waren Interferon (64%), Glatirameracetat (14%) und Dimethylfumarat (13%). Zu den häufigsten HET zählten Natalizumab (43%) und Fingolimod (33%).

Beide Therapieformen gingen mit einem reduzierten Risiko eines ersten Krankheitsschub innerhalb der ersten zwei Jahre einher. Unter den hoch effektiven Therapien konnte das Risiko eines ersten Krankheitsschubs fünf Jahre nach Beginn der Therapie im Vergleich zur moderat effektiven Therapie um 54% gesenkt werden (adjustierte Hazard-Ratio [HR] 0,46; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,31–0,67; p < 0,001). Die HET-Behandlung ging zudem mit einem signifikant stärkeren Rückgang der MRT-Aktivität im Vergleich zur MET-Behandlung einher (adjustierte Odds-Ratio 0,34; 95%-KI 0,18–0,66; p=0,001). Weiterhin war das Risiko eines Therapieabbruchs nach zwei Jahren unter MET etwa sechsmal höher (HR 5,97; 95%-KI 2,92–12,20). Die Hauptgründe für den Abbruch der Behandlung waren fehlende Wirksamkeit und Therapieunverträglichkeit.

Fazit und Limitationen

Basierend auf den Studienergebnissen legen die Autoren eine hoch effektive Therapie bei pädiatrischer MS nahe. Diese führte in der vorliegenden Studie zu einem geringeren Risiko eines ersten Krankheitsschubs, einer geringeren Abbruchrate und einer höheren mittelfristigen Toleranz. Um die Ergebnisse zu bestätigen, sind zukünftig jedoch Langzeit-Sicherheitsstudien erforderlich. Dies sei bei pädiatrischen Patienten von essenzieller Bedeutung, da die Behandlung häufig in kritischen Entwicklungsphasen, beispielsweise während der Neuroentwicklung, stattfindet. Außerdem bleibt zu beachten, dass es sich um ein retrospektives Studiendesign handelte. Dadurch lag in der HET-Gruppe wenig Heterogenität vor, z.B. weniger Krankheitsschübe pro Jahr, höhere EDSS(Expanded disability status scale)-Werte und eine höhere T2-Läsionslast als in der MET-Gruppe. Deutlichere Ergebnisse könnten zukünftig durch randomisierte Studien geschaffen werden, die an Kindern jedoch ethisch bedenklich sind, so die Studienautoren.

Quelle

Benallegue N, et al. Highly effective therapies as first-line treatment for pediatric-onset multiple sclerosis. JAMA Neurol 2024:e235566. Epub ahead of print.