Amitriptylin bei Reizdarmbeschwerden

Niedrig dosiertes Amitriptylin zeigte in einer Studie beim Reizdarmsyndrom gute Effekte. Auch Leitlinien empfehlen das Antidepressivum als Therapieoption. Dennoch gibt es Vorbehalte.

Erstlinie nicht immer erfolgreich

Das Reizdarmsyndrom (RDS) ist gekennzeichnet durch wiederkehrende Bauchschmerzen, Blähungen sowie abwechselnde Diarrhö und Obstipation. Die Lebensqualität betroffener Menschen ist meist stark eingeschränkt und mit der Situation bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen vergleichbar. Die Therapieempfehlungen beinhalten primär diätetische Maßnahmen und symptomorientierte Pharmakotherapie, etwa mit Spasmolytika, Colestyramin oder Macrogol.

Bei vielen Patienten sind die Therapieerfolge jedoch nicht zufriedenstellend, also sind alternative Optionen gefragt. Für die potenziell günstigen Effekte von Antidepressiva bei RDS unabhängig von depressiven Störungen gibt es zahlreiche Untersuchungen. Es ist bekannt, dass diese Arzneimittel die Darmmotilität beeinflussen. Für den Einsatz – in geringerer Dosis als für psychische Indikationen – liegt eine Zulassung vor, zudem nennt die S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom Amitriptylin explizit als Therapieoption.

Das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin sollte bei Erwachsenen zur Therapie von Schmerzen und globaler Symptomatik (mit Ausnahme von Obstipation) eingesetzt werden. [Empfehlungsgrad B, starker Konsens]

Low-dose-Amitriptylin ist effektiv

In einer randomisierten kontrollierten Studie aus England kam Amitriptylin bei 463 erwachsenen Patienten mit Reizdarmsyndrom, Rome-IV-Kategorie und mindestens 75 Punkten im Reizdarm-spezifischen Inflammatory-bowel-syndrome-severity-scoring-system(IBS)-Score, zum Einsatz. Die Teilnehmer hatten zuvor auf Ernährungsmodifikationen und Erstlinientherapien nicht ausreichend angesprochen und erhielten 1:1 randomisiert für sechs Monate 10 mg Amitriptylin, teilweise bis 30 mg täglich aufdosiert, oder Placebo.

Nach der Behandlung sank der IBS-Score in der Verum-Gruppe um fast 100 Punkte (Placebo: −73 Punkte). Es ergab sich eine signifikante IBS-Verbesserung von −27,0 (95%-Konfidenzintervall −46,9 bis −7,10; p=0,0079) zugunsten von Amitriptylin. Auch die Symptome verbesserten sich unter dem Antidepressivum signifikant.

Als Therapieoption anbieten

Das klare Resümee der Studienautoren lautet: Ärzte sollten Patienten mit Reizdarmsyndrom, die keine Symptomverbesserung mittels Erstlinientherapie erreichen, eine Low-dose-Therapie mit Amitriptylin anbieten. Dabei sollte die optimale Dosis wie in der Studie durch Auftitration je nach individueller Symptomatik und Verträglichkeit des einzelnen Patienten ermittelt werden.

Vorbehalte gegen „Psycho“-Medikation

Angesichts der positiven Effekte sind Antidepressiva – ähnlich wie in der Therapie chronischer Schmerzen – eine nicht zu vernachlässigende Behandlungsoption bei RDS. Vorbehalte oder gar Ablehnung aufgrund der Wirkstoffklasse Psychopharmaka, insbesondere gegenüber Antidepressiva, scheinen jedoch sowohl bei Medizinern als auch bei Patienten zu bestehen. Die Adhärenz ist bereits bei der Indikation „schwere Depression“ sehr gering, auch bei nichtpsychiatrischen Erkrankungen ist deren Einsatz offenbar von großer Zurückhaltung geprägt.

Eine Ursache könnten die Informationsquellen für diese Arzneimittel sein: Sie beschreiben in der Regel allein die Indikation „Depression“. So beginnt beispielsweise ein Patienteninformationsblatt zu Antidepressiva mit den Worten „Bei Ihnen wurde eine Depression festgestellt.“ Zudem ist die allgemeine Berichterstattung überwiegend skeptisch bis negativ:

Sind Antidepressiva wirklich wirksam?

Antidepressiva bringen langfristig nicht mehr Lebensqualität.

Ebenso verunsichernd können die zahlreichen aufgeführten potenziellen Nebenwirkungen auf Patienten wirken. Diese beziehen sich in der Regel auf die höhere Dosierung bei der Primärindikation und müssen bei einer Low-dose-Anwendung bei RDS und anderen Erkrankungen nicht unbedingt so auftreten. Möglichen Ängsten und Unsicherheiten könnten Ärzte mit Studienergebnissen sowie einer positiven Einstellung und umfangreichen Aufklärung begegnen.

Quelle

C Ford AC, Wright-Hughes A, Alderson SL, Ow P-L, et al. Amitriptyline at low-dose and titrated for irritable bowel syndrome as second-line treatment in primary care (ATLANTIS): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. The Lancet 2023;402:1773−85.